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08.02.2017 Palliativzentrum

Zweites Symposium der Reihe „palliativ&“

Zeit ist die Bühne des Lebens (ein Kurzbericht von Axel Doll)

„Zeit ist für die Menschen, wie für die Fische das Wasser - sie schwimmen darin und denken nicht darüber nach“ (nach KH Geissler)

Mehr als 120 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer besuchten am 7. Februar 2017 das 2. Symposium der Reihe „palliativ&“. Im Mittelpunkt stand das Thema „Zeiterleben“. Vier Referenten aus verschiedenen Fachdisziplinen beleuchteten das Phänomen Zeit aus ihren jeweiligen Perspektiven: Dr. Marc Wittmann aus Sicht der Psychologie, Dr. Hermann Ewald aus dem Blickwinkel des Palliativmediziners, Professor Kai Vogeley durch die Brille des Psychiaters und Dr. Georg Wieghaus aus der Perspektive eines Filmautors. Professor Raymond Voltz führte durch den Abend.

Dr. Georg Wieghaus eröffnete das Symposium mit dem Filmporträt einer Patientin unserer Palliativstation  und zeigte deren individuelle Zeitwahrnehmung am Ende ihres Lebens (gesendet in der TV- Sendung „Quarks  & Co“ vom 08.07.2014). Mit unterschiedlichen Interpretationen und Definitionen von „Zeit“ führte er in den Abend ein. Für die Senderreihe des WDR „Quarks & Co“ beschäftigte sich Georg Wieghaus als Filmautor mit dem Phänomen Zeit und drehte dazu auch im Dr. Mildred Scheel-Haus. (Beitrag in der WDR-Mediathek unter
http://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/sendungen/zeit-wenndiezeitknappwird-wdh100.html)

Dr. Marc Wittmann differenzierte in seinem Vortrag das subjektive Zeiterleben nach Aufmerksamkeit in der Gegenwart und dem Zeitgefühl bei der erinnernden Rückschau.  Daraus ergibt sich eine asynchrone Zeitwahrnehmung von Patienten und Tätigen in den Gesundheitsberufen. In seinen Untersuchungen konnte er nachweisen, dass sich durch einfühlsame und angemessene körperliche Berührung während eines Patientengesprächs die Dauer des Gesprächs in dessen Wahrnehmung verlängert.

Der Psychiater Prof. Kai Vogeley unterschied zwischen Zeitdehnung (bei Menschen mit einer Depression) und Zeitraffung (bei Menschen mit einer Manie). Die für Menschen mit einer Depression typischen Kennzeichen der Zeitwahrnehmung beschreibt er so: Die Gegenwart wird als direkte Folge der Vergangenheit erlebt, die Zukunft als endlos leer und nicht mit der Gegenwart verknüpft.
Psychisch gesunde Menschen erleben ihre Vergangenheit als autobiographisch eingebettet und die Zukunft mit der Gegenwart verbunden.

Dr. Hermann Ewald thematisierte vor dem Hintergrund seiner praktischen Erfahrungen als Palliativmediziner in einem multiprofessionellen Team, die Inkongruenz des Zeiterlebens von Patientinnen und Patienten sowie Behandelnden. Während Patientinnen und Patienten in ihrer so genannten „Ereigniszeit“ sind, müssen sich Teams  in der Regel nach der Uhrzeit ihres Arbeitstages richten. Dies kann die Behandelnden in unterschiedliche Konfliktsituationen bringen: Passen sie sich an die Ereigniszeit der Patientinnen und Patienten an, können sie für Außenstehende unpünktlich oder unzuverlässig wirken, in der Wahrnehmung des Patienten aber wirken sie gleichzeitig verlässlich und zugewandt. Er vertritt auch die These, dass sich die extreme Dichte, Intensität und Nähe, die in der Palliativbetreuung zwischen Behandelnden und Betroffenen entstehen kann, manchmal auch auf Grund der Gewissheit einer zeitlichen Begrenzung möglich und aushaltbar sei. Entscheidend für das Zeiterleben im Patientenkontakt sei nicht nur die Quantität, also die Länge der Zeit, sondern vor allem die Qualität des Gespräches, das bedeutet präsent zu sein, zuzuhören, nicht zu unterbrechen. Körperhaltung und Sprache bestimmen die Qualität eines Gesprächs manchmal mehr als dessen Länge. Zeit, in der die Behandelnden körperlich und mental präsent sind, würde von beiden Seiten als länger und zufriedenstellender erlebt als ein gleich langes Gespräch „mit der Hand an der Türklinke“.

In der folgenden, von Professor Voltz moderierten Podiumsdiskussion diskutierten die Redner miteinander und mit den Gästen angeregt und intensiv. Das anschließende „get together“ bot Gelegenheit, den intensiven Austausch im lockeren Rahmen fortzusetzen - die Zeit verging wie im Flug.

„Ich bin eine Zeitschenkende.“ 
(von Carolin Pfeil, ehrenamtliche Mitarbeiterin beim Hospizdienst des Palliativzentrums)

Das ist mir nach dem Symposium „palliativ& Zeiterleben“, das im Februar im Zentrum für Palliativmedizin stattfand, noch einmal sehr deutlich geworden.

Was ist Zeit? Diese Frage ist anscheinend kaum zu beantworten. Für mich ist Zeit kostbar und am schönsten, wenn ich sie habe. Natürlich hat sich das Zeitempfinden über die Jahre sehr verändert - wer kennt das nicht - der Heiligabend Morgen schien nicht zu vergehen, als ich Kind war. Die Zeit stand still, die Minuten vergingen einfach nicht. Heute bin ich versucht, die Weihnachtsdeko einfach stehen zu lassen, ist doch schon morgen wieder Weihnachten. Aber da ich selbst Kinder habe, pack ich natürlich alles wieder ein.

Apropos Kinder. Ich habe meinen drei Kindern Zeit gegeben, bin über zwölf Jahre nicht arbeiten gegangen, sondern habe ihnen gerne meine Zeit geschenkt. Was viele, insbesondere Frauen, überhaupt nicht nachvollziehen konnten, immer wieder wurde ich gefragt: „Und das reicht Dir“? Ja! Wie gerne denk ich heute an diesen Luxus, an diese wunderbare Zeit mit meinen drei kleinen Kindern zurück, die vertrödelte Zeit im Park, wo die Blätter und Regenwürmer bestaunt wurden, Sandburgen gebaut, 100x gerutscht und Stunden geschaukelt. Ich konnte meine Kinder auch mal zu Hause lassen, wenn sie sich nicht wohl fühlten, wir schauten uns Bücher an oder unfassbar langweilige Zeichentrickserien im Fernsehen - ja, es war auch manchmal langweilig, aber ist Langeweile nicht wichtig für die Entdeckung der eigenen Phantasie?

Als die Kinder größer wurden und ich mich genug ehrenamtlich im Schulbereich engagiert hatte, wollte ich einem komplett anderen Bereich meine Zeit geben. Ich wurde Sterbebegleiterin im Dr. Mildred Scheel-Haus und darf den Patienten dort Zeit schenken. Viele nehmen dieses Geschenk an und auch mich macht es dankbar und demütig.

Ich lerne, wie kostbar Zeit ist, dass jeder sie anders empfindet, wie unterschiedlich sie gefüllt wird.

Zum Beispiel musste ich auch lernen, dass mein Sohn, Epileptiker und Asperger, Zeit anders empfindet. Er spürt seine Gegenwart, indem er einer Tätigkeit nachgeht. Hat er etwas zu tun, sei es spazieren gehen, seine komplette Umgebung fotografieren, Fotos sortieren, im Garten arbeiten oder aber mir alles erzählen, was in seinem Kopf ist, (und ich meine wirklich alles) geht es ihm gut. Wenn man einmal verstanden hat, wie sein Zeitempfinden ist, kann man besser damit umgehen.

Seit März darf ich nicht nur ehrenamtlich Zeit schenken, sondern auch unsere  Ehrenamtskoordinatorin Hille Schüren ein paar Stunden in der Woche im Büro unterstützen, damit sie auch wieder mehr Zeit hat. Weiterhin schenke ich aber ehrenamtlich gern freitags an der Kaffeebar Zeit … und Cappuccino.

Die Symposienreihe geht weiter! Wir planen bereits die nächsten Veranstaltungen und Themen für 2018. In 2017 sind Sie herzlich eingeladen am Dienstag, 4. Juli zum Thema „palliativ& Todeswunsch“ und am Mittwoch, 4. Oktober, zu „palliativ& Hospiz“ jeweils wieder um 18.30 Uhr im Hörsaal der Dr. Mildred Scheel-Akademie.

Die Reihe wird veranstaltet in Kooperation mit:

www.kohlhammer.de

www.lebenundtod.com

Förderverein Palliativmedizin Universitätsklinikum Köln e.V.